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Von Jonas Damme

Steinhagen.
Die Beteiligung bewies, dass den Steinhagenern die Flüchtlinge nicht egal sind. Fast 100 Anwohner, Engagierte aus Vereinen, der lokalen Politik, aber auch Neugierige hatten sich am Montagabend im Ratssaal zum Runden Tisch eingefunden, um darüber zu sprechen, wie es mit den insgesamt 121 Flüchtlingen weitergehen soll. Die konfliktträchtigen Häuser an der Bahnhofstraße wurden dabei fast vollständig ausgeklammert. Stattdessen sammelte man Ideen und erarbeitete erste Angebote.

Die Versammlung begann mit einem Referat, in dem Sozialamtsleiterin Birgit Pape und Integrationsbeauftragte Silke Schröder den Status quo erläuterten: 71 Flüchtlinge wohnen gegenwärtig in der Patthorst, 20 weitere sind auf fünf angemietete Wohnungen verteilt. Dazu kommen vier Familien, die einzeln untergebracht sind. 17 Syrer, die außerdem in der Gemeinde leben, muss die Verwaltung nicht finanzieren, weil sie von Verwandten privat untergebracht sind. Gleichzeitig sprachen die beiden Sozialamtsmitarbeiter einen der großen Themenpunkte des Abends an: die Sprachbarriere.

"Sprache ist der Türöffner für alle Möglichkeiten der Integration", sagte Silke Schröder. Entsprechend seien Sprachkurse auch die grundlegendste aller Integrationsmaßnahmen. "Die Sprach- und Integrationskurse, die wir haben, sind aber eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein", benannte Birgit Pape selbst einen Kritikpunkt. Entsprechend bemühe man sich um weitere Angebote.

Nachdem die Vorredner den Umgang mit Flüchtlingen aus Verwaltungssicht referiert hatten, stellte Wolfgang Groß vom Steinhagener Arbeitskreis Asyl aus dem Stegreif den Alltag vor allem im Übergangswohnheim an der Patthorster Straße und die Arbeit seiner Mitstreiter vor. "Wenn wir in die Patthorst kommen, ist der erste Satz oft: Gib uns Arbeit!", sagte er. "Dort gibt es viele, die irgendwie in eine Beschäftigung kommen wollen." Dabei könnten die Ehrenamtlichen aber nur - zum Teil wegen der schwierigen Rechtslage - bedingt helfen.

Was Konflikte im Übergangswohnheim angeht, wollte er nichts beschönigen, "da prallt vieles zusammen". Gerade deshalb forderte er die Anwesenden auf, sich klarzumachen, "was die durchgemacht haben", und ihnen gerade deshalb zu helfen. "Steinhagen sollte seine Identität nicht nur über die Kruke, sondern über Humanität finden. So kann die Gemeinde vielleicht sogar so etwas wie ein Modellprojekt werden."

Auch Liane Schiermeyer, die bereits ehrenamtlich einen zusätzlichen Deutschkursus für Flüchtlinge in der Patthorst leitet, gab einen tiefen Einblick in den Alltag: "Wir haben acht oder neun Analphabeten, kaum jemand spricht Deutsch, oft geht es erst mal darum, die Menschen überhaupt in den deutschen Alltag einzuführen."

Nachdem diejenigen, die schon lange mit den Flüchtlingen zu tun haben, zu Wort gekommen waren, folgten auch etliche Ideen von Gästen. So bot eine Anwesende weiblichen Flüchtlingen einen Praktikumsplatz in ihrer Firma an. Eine Ergotherapeutin streute die Möglichkeit ein, gemeinsam mit Flüchtlingen "Dinge herzustellen, die dann verkauft werden könnten". Die Gleichstellungsbeauftragte Bettina Ruks kündigte an, Kontakt mit den Flüchtlingen aufzunehmen, um herauszufinden, ob es Bedarf für weitere Angebote gibt. Irma Rosenow schlug vor, zu versuchen, Flüchtlinge beim Steinhagener Tisch stärker einzubinden. Dutzende weitere Ideen wurden gleich auf großen Stehtafeln notiert, um sie von der Verwaltung auf Umsetzbarkeit prüfen zu lassen.

Im Gegenzug stellten Arbeitskreis und Verwaltung aber auch ihre Bitten an die Anwesenden. Liane Schiermeyer erklärte, dass man gegenwärtig auf der Suche nach einem landwirtschaftlichen Betrieb sei, mit dessen Hilfe die Flüchtlinge etwas über die deutsche Landwirtschaft lernen könnten. Birgit Pape sagte, dass man weitere Unterrichtsräume benötige, um mehr Kurse anbieten zu können.

Schließlich brach das Thema »Flüchtlingshäuser an der Bahnhofstraße« dann aber doch einmal durch. Ein Gast stellte die Aussage Klaus Bessers in Frage, dass die Flüchtlingssituation in den 90er-Jahren erheblich dramatischer gewesen sei und prognostizierte große Konflikte, wenn Flüchtlinge an die Bahnhofstraße ziehen sollten.

Das nahm der Bürgermeister zum Anlass, noch einmal seine Position zu bestärken. "Die Zahlen damals waren erheblich höher. Außerdem hat man sich in den 90er-Jahren nur mit der Unterbringung beschäftigt. Heute haben wir erkannt, dass eine enge Begleitung und soziale Anbindung dazugehören." Mit der entsprechenden Betreuung halte er auch die mögliche Zahl von 64 Flüchtlingen, die an der Bahnhofstraße einziehen könnten, für vertretbar. Mehrere Gäste beharrten aber auf ihrer Position, dass eine noch dezentralere Unterbringung der Flüchtlinge sinnvoller wäre.

Anschließend kündigte Bürgermeister Besser an, dass es weitere Unterstützertreffen geben wird. "Mindestens einmal im Jahr sollten wir uns außerdem in dieser großen Runde versammeln."

Die Flüchtlingshäuser an der Bahnhofstraße rücken bereits heute Abend erneut in den Mittelpunkt. In einer Sondersitzung soll der Haupt- und Finanzausschuss um 17.30 Uhr über das Projekt entscheiden. Am kommenden Freitag findet außerdem ab 18 Uhr im Rathaus eine öffentliche Infoveranstaltung statt.


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