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Kamin seit 343 Jahren in Betrieb

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„Die haben nur Feldsteine gesucht, die richtig trocken waren, weil die sonst die Hitze nicht aushielten. Und dann haben sie teils Ziegel und teils Feldsteine verbaut. So war das immer gemischt und ganz klug gemacht.” Ferdinand Gätz, der aktuelle Hausherr, bündelt das Wissen über die Kaminrückwand seiner Feuerstelle, in der die bei Temperaturen von 1400 Grad Celsius hart gebrannten Ziegel für die nötige Stabilität sorgen. Hinter der luftumspülten Kaminwand, die gleichzeitig als Wärmetauscher dient, führen Schächte, in denen die erwärmte Luft aufsteigen kann, bis in die zweite Etage des Hauses. Direkt unterm Dach befanden sich die zwei Gästezimmer der »Alten Posthalterei«, in denen es sich die Passagiere der ehemaligen Postkutschenlinie Münster-Hannover gemütlich machen konnten. Die Warmluft erreichte die Reisenden über das Schachtsystem, das heute scherzhaft »Haustelefon« genannt wird. Das ist der moderne Spitzname für die sogenannte Mehrraumluftheizung, über die man prinzipiell auch kommunizieren kann. „Im mittleren Stockwerk wohnten damals die Eigentümer und Wirtsleute”, erklärt Elke Gätz, die sich mit ihrem Ferdinand nach einer fast zweijährigen Renovierungsdauer im November 1981 den gemeinsamen Traum vom Wohnen in einem uralten Haus erfüllte. „Und wenn es sich wie in diesem Fall um zwei oder mehr Zimmer handelt, wird dieser Wohnraum auf Plattdeutsch »Upsuite« genannt, ein Einzelzimmer ist eine »Upkammer«”, erläutern Wilken Ordelheide und seine Ehefrau Renate, die während der gemeinsamen Hausbesichtigung der Familie Gätz mit dem Haller Kreisblatt mit Rat und Tat und den Infos aus dem »Höfebuch« des Heimatvereins zur Seite standen. Einst Gasthaus mit Post und Pferdewechselstation „Der letzte Vogt von Brockhagen, Johann Georg Consbruch, heiratete 1679 die 21-jährige Anna Margaretha Völkers, deren Vater dort ein Gasthaus mit Poststation und Pferdewechsel führte”, lasen die Ordelheides daraus vor und ließen die Geschichte des Hauses, in dem damals neben den Menschen noch zwei Pferde, vier Kühe und vier Schweine untergebracht waren, lebendig werden. Die kleine Anna war schließlich acht Jahre alt, als ihre Eltern das Haus errichteten, zwölf, als der Kamin eingebaut wurde, und 18, als der Bestand ins Viehschatzregister eingetragen wurde. Beim Einbau des zirka 60 mal 60 Zentimeter großen Kamins wurde jedenfalls im Wohnraum, in dem die Völkers wohnten, gleichzeitig mit der großen Feuerstelle auf der Deele, wo gekocht und die Gäste bewirtet werden sollten, eine weitere Feuerstätte installiert. „Das funktioniert nur, wenn die einzelnen Feuerraumöffnungen im passenden Verhältnis zum lotrechten Steigerschornstein stehen. Der muss so groß sein, dass das von den Feuerstätten produzierte Abgasvolumen abgeführt werden kann”, kommentiert Bezirksschornsteinfegermeister Gerhard Stadermann aus Halle die ausgefeilte Technik der altbewährten Heizungsanlage. „Die Schornsteinfeger mussten sich mit Knien und Rücken im Kamin hochdrücken”, schildert Ferdinand Gätz, der noch vor ein paar Jahren einen Kaminkehrer kennenlernte, der unter Anwendung einer speziellen Steigetechnik im Posthalterei-Abzug seine Gesellenprüfung abgelegt hat. Und damit nicht genug, Gätz kann auch beschreiben, wie die ehemalige Räucherkammer, in der Würste und Schinken konserviert wurden, an dem Kamin angeschlossen war. Das i-Tüpfelchen seiner Erzählungen ist die Wiederentdeckung des kupfernen Kessels, in dem das kostbare Salz, das sogenannte »Weiße Gold«, in einer eigenen Nische trocken aufbewahrt werden konnte. Über das alte Fachwerkhaus »Völker Nr. 78«, das seit 343 Jahren mit dem Thema Wärme im Dialog steht, ließe sich noch wesentlich mehr berichten. Zum Beispiel wie die Tür der Räucherkammer zu einem geräumigen Wohnzimmertisch mutierte, oder wie die originale Haustür von Nordosten nach Südwesten umzog. Die ehemalige Poststation, in der heute eine Fußbodenheizung für ein angenehmes Raumklima sorgt, wurde jedenfalls bis 1780 betrieben, die Gastwirtschaft bestand bis 1855. Und von Zeit zu Zeit knistert es wieder im Kamin an der Fröbelstraße und die uralten Geschichten kochen auf.

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