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"Keinen Brennpunkt schaffen"

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Steinhagen (mxb).
Wenn es um die Flüchtlingsdebatte geht, fällt häufig der Begriff »Solidarität«. Die deutschen Bürger sollen sich solidarisch verhalten und Flüchtlinge integrieren. Die Anwohner rund um die Bahnhofsstraße werfen jedoch auf diese Solidarität ein ganz neues Licht: "Wir stehen für die Integration von Flüchtlingen, jedoch wollen wir auch Solidarität für uns", sagt Alexander Alt, betroffener Hausbesitzer und Steinhagener Ratsmitglied. Es geht um die Grünfläche an der Bahnhofstraße, auf der die Gemeinde plant, zehn Doppelhaushälften zu bauen, um darauf bis zu 100 Flüchtlinge aufzunehmen.

Durch dieses Vorhaben zog die Gemeinde Mitte Dezember den Unmut der Anwohner auf sich. Diese ließen es sich nun auch bei starkem Schneefall nicht nehmen, sich an der Wiese zu treffen, um sich auszutauschen. "Ich selbst bin bereits 15 Mal umgezogen und bin immer wieder auf freundliche Menschen gestoßen, die mich in die Gegend integriert haben", erzählt An-drea Lenze. "Wenn das Vorhaben der Stadt aber so umgesetzt wird, wie bisher angedacht, ist eben dies kaum möglich", ergänzt Alt. "Wie sollen sich rund 100 Menschen, von denen viele junge Männer zwischen 15 und 25 Jahre alt sind, auf so einer kleinen Fläche vernünftig integrieren können?"

Die knapp 50 anwesenden Anwohner stimmen dem FDP-Politiker zu, der zugibt, aktuell schlecht schlafen zu können. "So viele Menschen auf so wenig Platz - das ist alles andere als familiengerecht", bekräftigt auch Stephanie Caio die Meinung der Anwohner. Die meisten haben sogar Verständnis mit den Flüchtlingen, die häufig automatisch mit Vandalismus, Ruhestörungen, Alkohol und Müll in Verbindung gebracht werden: "Es kann nicht sein, dass viele, meist sowieso schon traumatisierte Menschen, auf so einem engen Raum zusammenleben müssen, da ist der Streit doch schon vorprogrammiert", sagt Alt. "Es ist eine Form der Ghettoisierung, die die Flüchtlinge so nicht wollen und die auch wir nicht wollen", fügt Kristine Younes hinzu. "Ich selbst bin seit 30 Jahren mit einem Ausländer verheiratet, da kann uns niemand eine Abneigung vorwerfen."

Die Anwohner kritisieren jedoch nicht nur die Situation, sondern bieten der Gemeinde auch direkt Vorschläge für eine Verbesserung. "Es wäre gut, würden wir dieser Zentrierung der Flüchtlinge entgegenwirken. Man müsse sie nur verteilen auf verschiedene Häuser", sagt Younes. Dazu meint Alt: "Die Konsequenz wäre jedoch, dass sich wiederum andere Steinhagener beschweren. Da will unser Bürgermeister Klaus Besser wohl lieber 250 Bürger gegen sich haben, als vielleicht 1000, auch wenn es keinen Sinn macht." Ohnehin scheint es ein schwerwiegendes Kommunikationsproblem zu geben: "Es wurde uns versprochen, dass die Gemeinde auf uns zukommt und mit uns spricht, es kam niemand", bemängelt Alexander Alt.

Bereits in den 90er Jahren gab es in der Bahnhofstraße ein Aussiedlerheim. Damals wurde den Anwohnern versprochen, es würde nur für fünf Jahre bestehen - es wurden 15. "Früher hatten wir zahlreiche Probleme und keine Aussicht auf Besserung", sagt Gerhard Blum, der schon damals in der Nachbarschaft wohnte. "Mit einigen Flüchtlingen haben wir uns gut verstanden, die haben dann wegen der schlechten Umstände aber auch zugesehen, dass sie möglichst schnell von hier verschwinden." Younes appelliert bezüglich der Lebensumstände an die Bürger: "Wollt ihr, dass 100 deutsche Jungs auf einem Fleck leben müssen? Wenn nicht, warum sollten es dann Menschen anderer Nationen tun?" Der Vorschlag, Securitykräfte anzustellen, um für Sicherheit zu sorgen, wird von der breiten Masse abgelehnt - man könne das Geld nämlich lieber darin investieren, mehrere Standorte für die Flüchtlinge zu finanzieren.

Ein weiterer, schwerwiegender Punkt, der die Anwohner dazu bringt zu protestieren, ist der, dass ihr Grundstückwert durch die vielen Flüchtlinge in der Umgebung erheblich sinkt. Keine Frage, die Anwohner der Bahnhofstraße fühlen sich von Seiten der Politik im Stich gelassen und dementsprechend mundtot.

Stephanie Caio fasst für die Anwohner noch einmal zusammen: "Keine Massenunterkunft, keine Ghettoisierung, keine Brennpunkterschaffung - wir wollen nicht nebeneinander, sondern miteinander leben."

Hoffnung macht den Anwohnern der 9. Februar: An diesem Datum findet im Rathaus ein Austausch mit dem Stadtrat statt. Vielleicht kann Alexander Alt danach ja wieder etwas besser schlafen.


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